Eine unerwartete Bewohnerin der Galle von Cynips divisa

Gallwespen

Die Gallwespen (Cynipidae) sind eine Familie der Hautflügler (Hymenoptera), die bei den Taillenwespen (Apocrita) eingeordnet ist. Gallwespen sind meist kleine unauffällig gefärbte Insekten mit einer Körperlänge von ein bis acht Millimeter. Die Larven der Gallwespen leben und entwickeln sich in Wucherungen von Pflanzengewebe, den Pflanzengallen, deren Bildung durch die Eiablage des Weibchens induziert wurde. Die Larven ernähren sich pflanzlich (phytophag). In vielen Gallen wird dazu ein spezielles Nährgewebe gebildet. Nach Abschluss der Larvalentwicklung erfolgt die Verpuppung innerhalb der schützenden Galle. Die voll entwickelte Gallwespe frisst ein kreisförmiges Loch in die sie umgebende Hülle und verlässt die Galle.
Viele Gallwespen weisen einen Generationswechsel mit jährlich einer zweigeschlechtlichen und einer parthenogenetischen Generation auf. Die Parthenogenese ist eine Form der eingeschlechtlichen Fortpflanzung. Dabei entstehen die Nachkommen aus unbefruchteten Eizellen. Die verschiedenen Generationen unterscheiden sich in ihrem Aussehen und in der Form der von ihnen induzierten Pflanzengallen. Detailliertere Informationen zu Gallwespen und Gallen sind in [1-3] zu finden.

Bilder der Gallenbewohnerin

Anfang November habe ich einige Gallen der parthenogenetischen Generation der Gemeinen Eichengallwespe (Cynips quercusfolii) und von Cynips divisa gefunden. In einer großen mürben Galle von Cynips quercusfolii befand sich eine vollständig entwickelte Gallwespe. Bilder der Gemeinen Eichengallwespe und von deren Gallen gibt es auf der Artenseite von Cynips quercusfolii.

  • Bild 1: Gallen von <i>Cynips divisa</i> an <i>Quercus robur</i>
    Bild 1: Gallen von Cynips divisa an Quercus robur
    Bild 1: Gallen von Cynips divisa an Quercus robur
  • Bild 2: Einzelne Galle von <i>Cynips divisa</i>
    Bild 2: Einzelne Galle von Cynips divisa
    Bild 2: Einzelne Galle von Cynips divisa
  • Bild 3: Querschnitt einer Galle von <i>Cynips divisa</i>
    Bild 3: Querschnitt einer Galle von Cynips divisa
    Bild 3: Querschnitt einer Galle von Cynips divisa
  • Bild 4: Galle mit Larve<br> (2014:11:08)
    Bild 4: Galle mit Larve
    (2014:11:08)
    Bild 4: Galle mit Larve
    (2014:11:08)


Die auf dieser Seite in Bild 1 bis 4 gezeigten ca. 5 - 6 mm großen, runden Gallen von Cynips divisa sind weniger auffällig als die bis zu 2 cm großen Gallen von Cynips quercusfolii und sitzen meist an den Blattnerven an der Unterseite von Eichenblättern. Bild 3 zeigt den Querschnitt durch die in Bild 2 gezeigte Galle. Die Larvenkammer im Innern der Galle war leer. In einer zweiten Galle befand sich eine Larve (Bild 4). Diese ist aus der aufgeschnittenen Galle herausgefallen und war am 14.11.2014 noch nicht verpuppt. An diesem und am Vortag waren meine Versuche, die farblose, fast weiße Larve auf weißem Grund zu fotografieren, aufgrund des geringen Kontrastes leider wenig erfolgreich.

  • Bild 5: Die Larve hat sich verpuppt. (2014:11:22)
    Bild 5: Die Larve hat sich verpuppt. (2014:11:22)
    Bild 5: Die Larve hat sich verpuppt. (2014:11:22)
  • Bild 6: Ein weiteres Puppenbild (2014:11:23)
    Bild 6: Ein weiteres Puppenbild (2014:11:23)
    Bild 6: Ein weiteres Puppenbild (2014:11:23)


Als ich nach 8 Tagen wieder nachschaute, war die Larve verpuppt (Bild 5 und 6) und die schon dunkel gefärbte ca. 3 mm lange Wespe deutlich durch die dünne transparente Puppenhaut zu erkennen.

  • Bild 7: Die Wespe mit noch nicht voll entfalteten Flügeln <br>(2014:11:25 11:02:47)
    Bild 7: Die Wespe mit noch nicht voll entfalteten Flügeln
    (2014:11:25 11:02:47)
    Bild 7: Die Wespe mit noch nicht voll entfalteten Flügeln
    (2014:11:25 11:02:47)
  • Bild 8: befreit sich aus der Puppenhaut. <br>(2014:11:25 11:04:30)
    Bild 8: befreit sich aus der Puppenhaut.
    (2014:11:25 11:04:30)
    Bild 8: befreit sich aus der Puppenhaut.
    (2014:11:25 11:04:30)
  • Bild 9: Die Flügel haben sich entfaltet <br>(2014:11:25 11:36:56)
    Bild 9: Die Flügel haben sich entfaltet
    (2014:11:25 11:36:56)
    Bild 9: Die Flügel haben sich entfaltet
    (2014:11:25 11:36:56)
  • Bild 10: und müssen aushärten. <br>(2014:11:25 13:31:35)
    Bild 10: und müssen aushärten.
    (2014:11:25 13:31:35)
    Bild 10: und müssen aushärten.
    (2014:11:25 13:31:35)
  • Bild 11: Die fein behaarten Flügel sind noch transparent. <br>(2014:11:25 14:01:18)
    Bild 11: Die fein behaarten Flügel sind noch transparent.
    (2014:11:25 14:01:18)
    Bild 11: Die fein behaarten Flügel sind noch transparent.
    (2014:11:25 14:01:18)


Am 25. November hatte die Wespe die Puppenhaut zerstört und versuchte, sich von den Hautresten zu befreien. An den nur teilweise entfalteten Flügeln auf Bild 7 und 8 ist zu erkennen, dass der Schlupf vor Kurzem erfolgt sein musste. Bereits eine halbe Stunde später waren die transparenten und fein behaarten Flügel voll entfaltet und konnten aushärten (Bilder 9 - 11).

  • Bild 12: Die Flügel haben sich verfärbt.<br>(2014:11:26 10:06:05)
    Bild 12: Die Flügel haben sich verfärbt.
    (2014:11:26 10:06:05)
    Bild 12: Die Flügel haben sich verfärbt.
    (2014:11:26 10:06:05)
  • Bild 13: Die Körperfärbung ist unverändert.<br>(2014:11:26)
    Bild 13: Die Körperfärbung ist unverändert.
    (2014:11:26)
    Bild 13: Die Körperfärbung ist unverändert.
    (2014:11:26)
  • Bild 14: Die Unterseite ist hell geblieben.<br>(2014:11:26)
    Bild 14: Die Unterseite ist hell geblieben.
    (2014:11:26)
    Bild 14: Die Unterseite ist hell geblieben.
    (2014:11:26)
  • Bild 15: Thorax<br>(2014:11:26)
    Bild 15: Thorax
    (2014:11:26)
    Bild 15: Thorax
    (2014:11:26)
  • Bild 16: Am nächsten Tag <br>(2014:11:27)
    Bild 16: Am nächsten Tag
    (2014:11:27)
    Bild 16: Am nächsten Tag
    (2014:11:27)
  • Bild 17: Das Gesicht ist hell. <br>(2014:11:27)
    Bild 17: Das Gesicht ist hell.
    (2014:11:27)
    Bild 17: Das Gesicht ist hell.
    (2014:11:27)


Am nächsten Tag hatten sich die Flügel verfärbt und zeigten auffällige dunkle Bereiche (Bilder 12 bis 14). Die Körperfärbung der Wespe hatte sich nicht geändert. Die Unterseite und Bereiche des Kopfes, sowie der Thorax haben ihre hellere Färbung bzw. Zeichnung beibehalten (Bild 14-17). Die Bilder der geschlüpften Wespe bestätigten meinen beim ersten Betrachten der Puppenbilder aufgekommenen Verdacht, dass es keine Gallwespe sein kann.

Erzwespen - Familie Eurytomidae - Gattung Sycophila

Die Wespe, die sich aus der Larve in der Galle von Cynips divisa entwickelt hat, gehört zu den Erzwespen (Chalcidoidea) [4], einer Überfamilie der Hautflügler, speziell zur Familie Eurytomidae [5]. Diese besitzt keinen deutschen Namen. Die Familie ist eine polyphyletische Gruppe, d.h. in ihr sind Arten zusammengefasst, die auf keine einheitliche Stammform zurückgeführt werden können. Die Mehrheit der Mitglieder sind entweder phytophag oder Parasitoiden von Phytophagen. Ein Parasitoid ist ein Insekt, das in seiner Entwicklung parasitisch lebt und zum Abschluss den Wirt tötet.
Die hier gezeigte Wespe gehört höchstwahrscheinlich zur Gattung Sycophila.
Die meistem Sycophila-Arten sind, zumindest während eines Teilabschnitts der Larvenentwicklung, Insektenfresser (Entomophagen), die ihr Fressen an Pflanzengewebe abschließen. Die meisten dieser entomophagen Arten sind idiobionte Ektoparasitoiden von Insektenlarven. Idiobionte Parasitoide sind Parasitoide, bei denen das eierlegende Weibchen den Wirt durch einen Giftstich (seltener durch mit applizierte Pathogene) lähmt oder immobilisiert. Ektoparasitoide fressen von außen an ihrem Wirt.[6]

Ergebnis der Internetsuche

Detaillierte Information zu Parasitoiden in von Gallwespen erzeugten Eichengallen gibt es in [7].
Für Deutschland werden derzeit in [8] 5 Sycophila-Arten und neben Sycophila 4 weitere Gattungen der Familie Eurytomidae gelistet: Bruchophagus, Eurytoma, Systole und Tetramesa. Die Gallwespe Cynips divisa wird auf http://www.nhm.ac.uk/ als Wirt von Wespen der Gattungen Eurytoma und Sycophila, speziell von Sycophila biguttata aufgeführt. Im Internet gibt es einige Bilder von Wespen der Gattung Sycophila, die entweder heller oder dunkler als die auf dieser Seite gezeigte Wespe gefärbt sind, aber im Körperbau eine gute Übereinstimmung zeigen. Die Wespe auf dieser Seite weist die gleichen dunklen Flügelmale wie Sycophila biguttata im Internet auf, ist aber nicht durchgehend dunkel gefärbt.

Resümee

In der Galle von Cynips divisa befand sich die Larve einer Erzwespe aus der Familie Eurotomidae, die höchstwahrscheinlich zur Gattung Sycophila gehört. Die Erzwespenlarve, die normalerweise innerhalb der Galle lebt, hat sich auch außerhalb verpuppt. Das Puppenstadium dauerte maximal 10 Tage. Die am 25. November geschlüpfte und aus dem Gewahrsam entlassene, auf dem Balkon untergebrachte Wespe war bis zum Morgen des 8. Dezember nicht weggeflogen und hatte sich nur hin und wieder mal die Füße vertreten. Der 8. Dezember war ein sonniger Tag. Am folgenden Morgen war die Erzwespe verschwunden.

Vielen Dank an Rapha1 für die Bestimmung der Wespe im Hymis-Forum.

Quellen und weiterführende Literatur:
[1] Klaus Hellrigl, Pflanzengallen und Gallenkunde - Plant Galls and Cecidology, forest observer vol. 5, 2010, 207-328
[2] Fritz Schremmer, Was wissen wir von Pflanzengallen?, ÖKOL 6/3 (1984): 3-10
[3] http://de.wikipedia.org/wiki/Gallwespen
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/Erzwespen
[5] http://www.nhm.ac.uk/research-curation/research/projects/chalcidoids/eurytomidae.html
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Parasitoid
[7] Richard R. Askew, George Melika, Juli Pujade-Villar, Karsten Schönrogge, Graham N. Stone & Jose Luis Nieves-Aldrey, Catalogue of parasitoids and inquilines in cynipid oak galls in the West Palaearctic, Zootaxa 3643 (1): 001-133, 2013
[8] de Jong, Y.S.D.M. (ed.) (2013) Fauna Europaea version 2.6.2 Web Service available online at http://www.faunaeur.org